Die Ukraine wird missbraucht für geopolitische Spielchen von Gruppierungen, denen sicherlich nicht das Wohlergehen von irgendjemandem wichtig ist. Es geht um Macht, Geld und Kontrolle. In der Ukraine wird seit vielen Jahren um die Vorherrschaft gekämpft. Beide Seiten haben Blut an den Händen. Der Krieg ist viele Jahre alt, er ist nicht neu, er hat jetzt nur die Form gewandelt.

In so einer Situation pauschal Stellung zu beziehen für eine der Kriegs-Parteien und damit gegen die andere Partei, ist zwar menschlich nachvollziehbar. "Wir müssen zusammenhalten!". Aber das ist auch genau das Verhalten, das zu Kriegen führt. Wenn wir es nicht lernen, diesen Reflex zu überwinden, wird es nie besser in unserer Welt. Das blendet jegliches Verständnis für die andere Seite aus, da fragt sich keiner mehr: Warum handeln die anderen so?

Zynisch wird es, wenn zu einer „Friedensdemo“ aufgerufen wird, von politischen Parteien, die selbst in der Vergangenheit auch völkerrechtsfragliche Kriege befohlen haben und in den letzten Wochen mit immer weiter eskalierenden Drohungen ständig Öl ins Feuer gegossen haben. Diese sog. „Friedensdemo“ fand letzten Mittwoch hier am Uniplatz statt. Russland wurde als alleiniger Aggressor bezeichnet, Waffenlieferungen an die Ukraine wurden bejubelt. Das Ganze noch als "Friedens-Demo" zu betiteln ist ein unerträglicher Hohn gegenüber den Opfern der von diesen Parteien befohlenen und begrüßten Kriegen. Wo war der Aufschrei dieser Demonstranten beim Krieg in Lybien, Jemen, Irak, Syrien, Afghanistan oder dem Beschuss des Donbass in den letzten 7 Jahren? Oder zählen Leben von Muslimen oder Russen weniger? Auch hier hatte die NATO oder die USA die Finger immer im Spiel.

Wir sollten als Gesellschaft aufhören, anderen Menschen vorzuschreiben, was gut für sie ist. Was haben wir da einander in den letzten Jahren angetan, wo es besser gewesen wäre zu fragen: Was sind Deine Ängste? Was sind Deine Bedürfnisse? Stattdessen haben wir uns in eine Art mentalen Bürgerkrieg treiben lassen. Wir sollten auch aufhören, anderen Völkern zu erzählen was gut

für sie ist und sie bestrafen, wenn sie sich nicht so verhalten, wie wir das gerne hätten. Wir sind keine Russen, wir sind keine Ukrainer, wir leben nicht vor Ort, wir wissen nicht, wie sich diese Menschen fühlen. Völker müssen selbst herausfinden, was richtig für sie ist. Das ist teilweise ein schmerzhafter Prozess und Bruderkriege sind bekannterma1 en besonders grausam. Wir können das von au1 en nur verschlimmern und nehmen dabei selbst Schaden. Blanko-Solidaritäts-Bekundungen haben wir 1914 auch ausgestellt. Dieser Domino-Effekt droht uns jetzt wieder. Daher werbe ich nicht nur für Frieden sondern auch für staatliche Neutralität. Keine Einmischung, keine Waffenlieferungen von Staats wegen. Die Ukraine ist nicht wehrlos, sie kann sich verteidigen und Waffen herstellen und kaufen.

Ich habe zwei Jahre in der ehemaligen Sowjetrepublik Estland gelebt und kenne die Mentalität dort: Die Menschen sind stolz auf ihre Unabhängigkeit und wollen nie wieder fremdbestimmt werden. Sie fürchten den russischen Bären. Das ist in der Ukraine sicher ähnlich.

Aber auch in Russland gibt es viele Ängste, man fühlt sich bedroht, isoliert, vom Westen nicht geachtet. Auch das ist ein wahres Gefühl, das wir achten sollten.

Beide Seiten haben Recht, beiden haben Angst. Diese Eskalationsspirale führt in den Abgrund.

Wir müssen wieder den Mut finden: Aufeinander zuzugehen. Einander zuzuhören. Unseren Mitmenschen und (am schwierigsten) uns selbst zu verzeihen. Wenn in uns Frieden ist, dann ist auch Frieden im Außen möglich.

Danke.